Die AG Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (AG BOrG) des Alternativen Jugendprojekts 1260 e.V sammelt kontinuierlich rechte Vorfälle und Aktivitäten und erstellt für jedes Jahr daraus Chroniken. Für 2019 ergibt sich aus den Zahlen ein Anstieg gegenüber 2018, auf den wir im Folgenden eingehen möchten. Zudem richten wir den Blick auf Neonazis im Kampfsport sowie auf das extrem rechte Netzwerk, in dem sich die AfD im Landkreis bewegt.
Überblick: Rechte Vorfälle nehmen im Vergleich zu 2018 zu
Im Jahr 2019 konnten wir einen deutlichen Anstieg rechter Vorfälle im Landkreis gegenüber 2018 feststellen. Insgesamt gab es 50 Meldungen wie Bedrohungen, Schmierereien, Angriffe und Propagandadelikte. Im Vergleich haben wir 2018 33 solcher Vorfälle registriert. Eines der häufigsten Meldungen sind rechte Graffitis und Schmierereien – insbesondere Hakenkreuze wurden sehr häufig gesprüht. Die Tatorte sind sowohl öffentliche Räume wie Bushaltestellen oder Wände in öffentlichen Bereichen, aber sehr oft auch Privathäuser. Bei letzteren kommt immer noch eine bedrohende Komponente dazu, da die Täter*innen gezielt Nazisymbole zur Einschüchterung anbringen – teilweise mehrfach an den gleichen Orten. Auch explizite Bedrohungen und Beleidigungen kamen im letzten Jahr häufiger vor und haben sich gegenüber 2018 fast verdoppelt. Gegenüber 2018 hat sich auch die Zahl der Angriffe leicht erhöht. Acht Angriffe auf Menschen und Unterkünfte von Geflüchteten haben wir 2019 registriert.
Generell sind die größeren Städte in Märkisch-Oderland die Zentren der Taten. Sowohl Seelow als auch Bad Freienwalde, Müncheberg und Wriezen haben ähnlich hohe Zahlen. Strausberg sticht mit 21 rechten Vorfällen hervor. Dies muss aber in den Kontext gesetzt werden, dass die Beratungsstelle und ihre Mitglieder selbst in Strausberg aktiv sind und hier viele Fälle selbst aufnimmt und besseren Kontakt zu Betroffenen hat, sowie durch die Arbeiten der BOrG, des Bündnisses für Menschlichkeit und des AJP 1260 e.V., sowie weiterer Vereine, eine größere Sensibilität in den letzten Jahren hergestellt werden konnte. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen in den restlichen Städten ähnlich hoch, wenn nicht noch höher sind. Neben den genannten Städten gab es Vorfälle in Rehfelde, Neuenhagen, Petershagen, Fredersdorf, Rüdersdorf, Falkenberg, Neutrebbin, Neuhardenberg und Lietzen.
Zahlreiche Studien verweisen in diesem Bereich auf hohe Dunkelziffern. Beleidigungen und Angriffe sind für viele Betroffen Normalität. Die Gewöhnung und gesellschaftliche Hürden führen dazu, das viele Vorfälle nicht angezeigt oder publik gemacht und damit auch nicht von uns registriert werden. Besonders im Oderbruch, sowohl in den Städten als auch in den Dörfern, gehen wir von einer weit größeren Zahl aus. Der Alltagsrassismus zeigt sich bspw. bei Fußballspielen, wo Spieler*innen of Colour(*) beleidigt werden, oder auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo immer wieder Beleidigungen und Angriffe stattfinden. Ebenso sind Orte, wo sich die Zivilgesellschaft offen und klar positioniert, immer wieder Ziel von Angriffen.
(*) Als People of Colour bezeichnen sich viele Menschen, die von Rassismus negativ betroffen sind.
Kampfsport als Betätigungsfeld für Neonazis
In besonderem Maße sticht auch die Veranstaltung am 26. Januar 2019 in Strausberg hervor. Beim sogenannten „Red Eagle Cup“ im letzten Jahr trat ein ehemaliger NPD-Kader und immer noch aktiver Neonazi in Erscheinung [1]. Er war jedoch nicht nur Gast wie andere Neonazis an dem Tag, sondern betreute einen jungen Kämpfer vom Ringrand aus. Dies spricht für seine Involviertheit im organisierenden Verein. Darüber wird uns immer wieder von Neonazis berichtet, die in Strausberg im (Kampf-)Sport tätig sind. Ganz normal werden in Gyms rechte Modemarken wie „Label23“ [2] getragen und beworben. Dies ist höchst gefährlich, da Neonazis hier zum einen Erfahrungen und Fähigkeiten sammeln, politische Gegner*innen und von Diskriminierung betroffene Personen anzugreifen. Zum anderen ist Kampfsport auch gelebter Teil einer völkischen Vorstellung von Gesundheit und Wehrhaftigkeit, der allzu häufig zum „NS-Lifestyle“ dazugehört. Fest steht zudem, dass ein aktiver Neonazi in keinem Fall geeignet ist, Kinder oder Jugendliche in Kampfsport anzuleiten und zu betreuen.
Eine besondere Rolle spielt in diesem Kontext auch der Strausberger Laden „German Meltdow Crime Store“, der Kampfsportzubehör und -kleidung verkauft. Neben der schon genannten Marke „Label23“ werden hier auch die rechte Marke „ProViolence“ [3], sowie Baseballschläger und Material zum Vermummen verkauft.
Die AfD als Teil des extrem rechten Netzwerks
Die AfD ist im Landkreis im letzten Jahr stärkste Kraft in den Kommunalwahlen und zweitstärkste Kraft in den Landtagswahlen geworden. Sie ist damit auf regionaler und überregionaler Ebene präsent. Auch die Veranstaltungen – in der Regel die sogenannten Stammtische – der Partei finden regelmäßig und flächendeckend statt und haben sich in manchen Teilen des Kreises schon soweit etabliert, dass sie als Selbstläufer gelten können. Die 16 in der Chronik aufgeführten Aktivitäten der AfD können deshalb nur als kleiner Ausschnitt der Partei-Aktivitäten gesehen werden; die tatsächliche Anzahl der AfD-Veranstaltungen dürfte weitaus höher liegen.
Allein in Strausberg fanden monatliche öffentliche Stammtische statt, welche man so oder so ähnlich auch in anderen Städten im Landkreis beobachten kann. Die Stammtische finden oft in privaten Räumen und Restaurants statt, wie im „Zum alten Steuerhaus“ in Strausberg. Das Publikum besteht, wie bei AfD-Stammtischen üblich, eher aus dem engen Mitglieder- und Sympathisamt*innenkreis. Jedoch lässt die relative Regelmäßigkeit der Veranstaltungen sowie die mitunter parteiprominente Unterstützung aus Berlin vermuten, dass die Stammtische für die AfD vor allem intern eine hohe Bedeutung haben. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur inhaltliche, sondern auch organisatorische Diskussionen hier geführt, Kontakte intensiviert und Aktionen geplant werden.
Solche Aktionen fanden im letzten Jahr vor allem im Rahmen der Landtags- und Kommunalwahlen statt. Mit Wahlkampfständen, aber auch mit Propagandamaterial war die AfD stark im öffentlichen Raum präsent. Auffällig war, dass AfD-Aufkleber oft in Verbindung mit anderen extrem rechten Aufklebern auftraten, sodass davon auszugehen ist, dass die Verbreitenden sowohl in AfD- als auch in neonazistische Kreise vernetzt sind.
Mit Propagandamaterial versuchte die AfD jedoch nicht nur, ihre menschenverachtenden Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch zur gezielten Einschüchterung ihrer politischen Gegner*innen nutzte sie es: So brachte die AfD in der Nacht zum 3. August in Müncheberg Wahlplakate vor und in unmittelbarer Nähe zu dem Gelände an, auf dem am nächsten Tag ein linkes Stadtfest stattfand. Diese Art der Reviermarkierung und Bedrohung hat die AfD mit den Aktivitäten der anderen Neonazis im Landkreis gemein.
Besonders in Strausberg ist die Nähe und Überschneidung von AfD-Mitgliedern zur Neonaziszene sehr präsent. Anschaulich lässt sich das an der sogenannten „Bruderschaft Strausberg“ zeigen. Bruderschaften sind in Neonazi-Kreisen sehr beliebte Organisationsformen, die üblicherweise nur für Männer zugänglich sind und soldatische Härte und Kampfbereitschaft suggerieren sollen. Auch wenn der Großteil dieser Bruderschaften – so auch das Strausberger Exemplar – häufig lediglich lose Gruppen von saufenden und pöbelnden Männern sind, ist die Außendarstellung häufig martialisch und extrem rassistisch und sexistisch. Überschneidungen zu AfD und Neonazi-Szene sind häufig, jedoch selten so eindeutig wie in Strausberg. Auf facebook veröffentlichte ein sachkundiger Einwohner der AfD mehrere Posts, die in Zusammenhang mit der sogenannten „Bruderschaft Strausberg“ standen und machte auch im Folgenden aus seiner Doppelmitgliedschaft keinen Hehl.
Gerade diese (zumindest theoretisch) gewaltbereiten Zusammenschlüsse im Umfeld der AfD können als gewalttätiger Arm der parlamentarischen Rechten gesehen werden und stellen für von Rassismus betroffene Menschen und Linke eine erhebliche Bedrohung dar.
Wenig beachtet, aber dennoch von Bedeutung im Feld der Neuen Rechten war die Konferenz des rechten Magazins „Compact“ am 10. August in Hönow. Neben dem Chefredakteur des rechten und verschwörungsideologischen Magazins Jürgen Elsässer waren diverse AfD-Politiker*innen vor Ort. Das Compact-Magazin räumt dem rechten „Flügel“ der Partei viel Platz ein und sympathisiert offen mit den rechtesten Akteuren der Partei [4]. Das eine solche Konferenz in Hönow stattfindet, untermauert ein weiteres Mal, dass die AfD in MOL klar dem rechten Flügel der Partei zuzuordnen ist.
Was kann man tun?
Um Betroffenen helfen und ein realistisches Bild der rechten Vorfälle nachzeichnen zu können, sind wir auf Unterstützung angewiesen. Wir freuen uns über Hinweise zu allen Formen von rechten Vorfällen im Landkreis. Außerdem können sich Betroffene, aber auch Beobachter*innen gern direkt bei uns melden. Gebt unsere Kontaktdaten gerne weiter oder kontaktiert uns. Zeigt euch solidarisch mit Betroffenen rechter Gewalt und schaut nicht weg bei rechten Vorfällen.
E-Mail: ag-borg@horte-srb.de
Telegram: 0163/ 386 75 82
Internet: www.horte-srb.de/borg
Mehr Informationen und Unterstützung für Betroffene unter www.opferperspektive.de