Redebeitrag zum Shoah-Gedenken

Bei der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 2020 haben wir uns mit einem Redebeitrag beteiligt. Den könnt ihr hier nachlesen:
„Am Nachmittag des 27. Januars 1945 betraten die Soldaten der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Was sie vorfanden, entbehrte jeder Vorstellung: Tausende entkräftete, unterernährte, kranke und traumatisierte Menschen, zusammengepfercht auf viel zu engem Raum, ohne Versorgung, ohne Essen, ohne Heizung. Nur wenige Tage zuvor war der Großteil der Häftlinge in Todesmärschen Richtung Westen geschickt worden, viele überlebten das nicht. Doch die Zurückgebliebenen hatten es kaum besser. Viele starben noch im befreiten Lager an ihren Erschöpfungen, Verletzungen, Entkräftungen. Die Bilder der Gräueltaten der Nazis gingen um die Welt und sind uns heute allen vor Augen. 
Als wir im vergangenen Jahr die Gedenkstätte in Auschwitz besuchten, haben wir den Ort einer Grausamkeit besucht, die mit Worten nicht zu fassen ist. Mit der der Sprache des alltäglichen Lebens ist es nicht möglich, den massenhaft Tod, die Vernichtung von Menschenleben zu beschreiben. Und auch Auschwitz konnte die Dimension der Grausamkeit nicht erfassen. Die Massenhaftigkeit des Todes wurde versucht aufzeigen. Es gab große Räume, die voll mit Haaren waren, die den Menschen vor der Ermordung abgeschnitten wurden. Riesige Berge von Koffern und persönlichen Gegenständen, die geraubt wurden. Diese Bilder lassen einen verstummen, können aber keine realistischen Einblicke in die Ausmaße der Vernichtung geben. Diese Berge von Sachen und Koffern, Räume voll Haare und Schuhe bilden nur ab, was in den wenigen letzten Wochen geschehen ist. Es gibt keine Möglichkeit die Dimension der Vernichtung, wie sie in Auschwitz geschehen ist, aufzuzeigen, geschweige denn das Ausmaß der Shoah. 
Der Nationalsozialismus hinterlässt Millionen Tote. Juden, Sowjetsoldat*innen, Sinti, Roma, Kommunist*innen, behinderte Menschen, Homosexuelle und so viele andere Gruppen, dass man sie kaum alle aufzählen kann. Millionen Menschen, die mitten aus ihrem Leben gerissen wurden. Und obwohl viele Deutsche im Nachhinein behaupteten, nichts gewusst zu haben oder sogar im Widerstand gewesen zu sein, ist die bittere Wahrheit: Die meisten haben es gewusst. Und sie haben nichts dagegen getan. Im Gegenteil: Sie haben profitiert, sie haben mitgemacht, sie haben weggeschaut. Der Nationalsozialismus ist nicht über die Deutschen gekommen. Er ist wegen den Deutschen gekommen. Auch der Antisemitismus, aus dem die Shoah resultierte, ist nicht durch die Nazis nach Deutschland gebracht worden. Vielmehr konnten die Nazis auf einen fest in der deutschen Gesellschaft verankerten Antisemitismus aufbauen. 
Heute hören wir oft, man könne sich sowas gar nicht mehr vorstellen. Man könne sich nicht vorstellen wie es ist, wenn Synagogen angegriffen werden und Jüd*innen auf offener Straße bedroht werden. Wenn die Nachbar*innen deportiert werden oder Kinder aus dem Schulunterricht abgeholt und weggebracht werden.
Wenn wir ehrlich zu uns sind, dann können wir uns das eigentlich schon vorstellen. Natürlich ist unsere Zeit ganz anders ist als die 1930er Jahre. Aber es ist nicht so, dass wir uns entspannt zurücklehnen können. 
An Jom Kippur letztes Jahr versuchte ein Nazi in die Synagoge in Halle einzudringen dort einen Massenmord zu begehen. Er scheiterte – nicht an eingreifenden Helfer*innen oder der Polizei, sondern an der Synagogentür. 
Jüdinnen und Juden berichten seit Jahren von steigenden Angriffen auf der Straße, von Pöbeleien und Beleidigungen, aber ihnen wird selten zugehört. 
Nicht-deutsche Menschen werden von der Polizei abgeholt und in Abschiebehaft genommen, um dann nach Afghanistan oder Libyen abgeschoben zu werden. Dort droht ihnen bitterste Armut, Internierung, Terror und Krieg. 
An die Nachricht, dass wieder mal hunderte Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, haben wir uns fast schon gewöhnt. 
Begleitet wird das alles von der lauten Zustimmung von Neonazis und AfD und von der leisen und heimlichen Zustimmung von vielen sogenannten „normalen“ Deutschen. Bei der letzten Landtagswahl ist die AfD in Märkisch-Oderland die zweit stärkste Kraft geworden. Und das, obwohl oder gerade weil sie mit Andreas Kalbitz von einem Mann angeführt wird, der 2007 mit einer Neonazi-Delegation an einer Demonstration in Griechenland teilnahm. Und auch in unserem Wahlkreis ist mit Lars Günther ein AfDler in den Landtag gezogen, der 2015 und 2016 noch Veranstaltungen anmeldete, an denen organisierte Neonazis nicht nur teilnahmen, sondern  wichtige Aufgaben übernahmen und Reden halten konnte. Er ist damit der jenige, der zuletzt offen rechte Demonstrationen anmeldete und darüber Neonazis eine Plattform verschaffte.
Auch der heute zu Tgae tretende Rassismus ist nicht durch einzelne Personen oder eine Partei in die Gesellschaft gekommen. Vielmehr kann die AfD auf einen fest in der Deutschen Gesellschaft verankerten Rassismus aufbauen.
Ja, wir leben offensichtlich in Zeiten des Rechtsrucks. Das haben wir tausend Mal gehört, gelesen, wir erleben es selbst. Aber was bedeutet das für uns? 
Was bedeutete es für die Menschen in den 30er Jahren, in einem Rechtsruck zu leben? Was können wir aus der Geschichte lernen?  Im Grunde ist das einfach. Wir müssen daraus lernen, dass wir nicht wegschauen dürfen. Und das ist mehr als nur eine Phrase. 
Wir dürfen nie aufhören, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Wir dürfen nie aufhören, die Täter*innen anzuklagen und diejenigen, die zu feige waren, das Grauen zu verhindern. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass jede Generation ihre eigene Verantwortung trägt, Hass, Leid und Menschenverachtung zu bekämpfen. Wenn Auschwitz uns überhaupt etwas lehren kann, dann nur das Mindeste: Wir dürfen uns nicht zurücklehnen, solange Menschen verfolgt, gedemütigt, diskriminiert und abgeschoben werden. Wir haben noch viel zu tun.“