Chronik rechter Vorfälle 2020 in Märkisch-Oderland

Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch­Oderland (BOrG) dokumentiert kontinuierlich rechte Vorfälle im Landkreis und erstellt daraus Chroniken. Im Jahr 2020 haben wir 107 Vorfälle im Landkreis aufge­nommen, von Propaganda über Veranstal­tungen hin zu Angriffen. Damit stieg die Zahl der registrierten Vorfälle von 67 im Jahr 2019 um 60%. Dies lässt sich zum einen durch mehr Propagandafälle, aber auch durch eine aktivere Melder*innenstruktur erklären.

Überblick: Rechte Vorfälle im Jahr 2020

Die häufigsten Vorfälle im Jahr 2020 mach­ten Propagandafälle aus (37 Vorfälle). Dies sind zum Beispiel Schmierereien oder das Kleben von Stickern mit rechten Inhalten. Rechte Selbstdarstellung, also die Bewer­bung oder das Auftreten als rechte Struktur oder Parteien, sowie die Verharmlosung und/oder Verherrlichung des Nationalsozialismus sind dabei die häufigsten Motive. Rassismus, Antisemitismus oder die Bedrohung von poli­tischen Gegner*innen spielen bei den Propa­gandafälle eher eine untergeordnete Rolle. Zu betonen ist jedoch, dass sich zum einen immer eine rassistische und bedrohliche Di­mension in der rechten Selbstdarstellung zeigt und zum anderen explizit bei Stickern rassistische Motive in Kombination mit Sti­ckern von Parteien oder Organisationen gek­lebt wurden. Auf die Betrachter*innen wirken sie im Stadtbild so gemeinsam und beziehen sich aufeinander.

Mit 36 Veranstaltungen im Jahr 2020 ist dies die zweithäufigste Vorfallsart. Nicht trotz, sondern gerade wegen der Pandemie hat sich die Zahl hier deutlich gegenüber dem Vorjahr (15 Veranstaltungen im Jahr 2019) erhöht. Neben einigen Parteiveranstaltungen der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die thematisch nicht die Pandemie und die Maß­nahmen dagegen aufgriffen, waren die soge­nannten „Corona­Maßnahmen“ der Auslöser für ein Gros der Veranstaltungen. Bereits im Zeitraum von März bis Juni gab es einige Veranstaltungen dazu im Landkreis. Ab Ok­tober fanden dann aber regelmäßig Kundge­bungen in Strausberg (Querdenken Strausberg 334) und in Wriezen (Schweige­marsch der AfD) statt. Besonders im Kontext der Querdenken­Kundgebungen gab es hier immer wieder NS-­verharmlosende Bezüge.

Außerdem haben wir 18 Pöbeleien, Beleidigungen und/oder Bedrohungen aufgenommen, wovon ein Großteil antisemitisch mo­tiviert war (7 Vorfälle von 18). Weitere Motive waren Rassismus (6 von 18), LGBTIQ*­Feindlichkeit (2 von 18) und gegen politi­sche Gegner*innen ge­richtet, NS­verherrlichend oder als rechte Selbstdar­stellung vermittelt (je 1 von 18). Die Zahl der von uns registrierten sechs Angriffe im Jahr 2020 ist im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen (8 Angriffe 2019). Dabei waren vier Angriffe rassistisch motiviert und erfolgten gegen vermeintlich als Geflüchtete wahrgenommene Personen oder Geflüchtetenunterkünfte. Zwei Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*in­nen. Ebenso gab es im Jahr 2020 sechs Sachbeschädigungen, wovon 4 antisemitisch motiviert waren.

Strausberg sticht wie auch schon die Jahre zuvor mit der Anzahl der Vorfälle hervor (ins­gesamt 32). Dies liegt vor allem an der guten Melder*innenstruktur vor Ort. Engagierte Menschen melden uns hier Vorfälle. Dies schafft eine gute Datenlage und einen rea­listschen Überblick. Aber auch Wriezen mit 16 Vorfällen und Müncheberg mit 14 Vorfäl­len, sowie Petershagen mit 11 Vorfällen ste­chen heraus. An den vielen anderen Orten in Märkisch­Oderland ist von einer hohen Dun­kelziffer auszugehen. Es ist anzunehmen, dass sich die Zahlen in allen größeren Ortschaften auf einem ähnlichen Niveau be­wegen, hier fehlen uns jedoch Melder*innen­strukturen und es können nur Vorfälle aufgenommen werden, die in der Presse, Sozialen Medien oder durch Polizeimeldun­gen öffentlich bekannt werden. Insbesondere aus Bad Freienwalde hören wir immer wieder von rassistischen Vorfällen, die auch regel­mäßig Angriffe beinhalten. Unsensible Reak­tionen von Politik und Polizei, sowie die Alltäglichkeit dieser Angriffe lassen die Be­troffenen oft resignieren und Anzeigen oder Hilfegesuche werden unterlassen. Damit lässt sich kein abschließendes Bild der Lage in Märkisch­Oderland zeichnen. Wir sind hier auf Hilfe durch alle Mitmenschen im Land­kreis angewiesen. Melden Sie uns rechte Vorfälle jeder Art. Nur so können wir gemein­sam etwas tun.

Bewaffneter Rechtsextremismus: Ein bundesweiter Trend auch in Märkisch-­Oderland

Hervorgehoben sei an dieser Stelle folgen­der Vorfall: Im März stellte die Polizei bei Hausdurchsuchungen mehrere Waffen und Nazidevotionalien sicher, zwei Männer wur­den wegen Waffenhandels festgenommen. Gerade in den vergangenen Jahren waren verschwundene Waffen aus Beständen von Polizei und Bundeswehr auch medial immer wieder Thema. Zu selten wird darauf hinge­wiesen, was mit diesen Waffen passiert: Oft­mals gelangen sie in die Hände von Neonazis und bekennenden Rassisten. Meistens sammeln diese die Waffen, trainie­ren damit oder legen geheime Lager an, um am “Tag X” darauf zugreifen und politische Gegner*innen angreifen zu können. Doch immer wieder schreiten Neonazis zur Tat und verletzen und töten Menschen. Leider besit­zen viele rechte Aktivisten zudem Waffen­scheine, da hierfür viel zu selten der politische Hintergrund geprüft wird. Promi­nentes Beispiel dafür ist Tobias R., dem At­tentäter von Hanau, der 2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven tötete. Meldungen über Waffenfunde bei Neonazis sind deshalb äußerst brisant und Lokal­ und Kommunalpolitiker*innen sowie Sicherheits­behörden sollten alles dafür tun, die Herkunft dieser Waffen aufzuklären und nicht zulas­sen, dass die rechte Szene sich weiter be­waffnet.

Rassistische Mobilisierungen stärken rechte Strukturen

Als in Folge des langen Sommers der Mi­gration 2015 die rassistischen Mobilisierun­gen und Gewalttaten schlagartig zunahmen, zeigte sich dies auch in Mär­kisch­Oderland. Nicht nur gab es viele An­griffe und rassistische Veranstaltungen, auch waren die meisten Propagandavorfälle mit rassistischen Inhalten. Dies hat sich mitt­lerweile gewandelt. Die rassistische Mobili­sierung hat zu einer Stärkung von rechten Strukturen beigetragen, wie nicht nur an Wahlergebnissen zu sehen ist. Das hohe Maß an Vorfällen, die in die rechte Szene hineinwirken und die Organisationen in der öffentlichen Wahrnehmung stärken, ist ein weiteres Resultat davon. Auch jenseits des Wahlkampfes wie im Jahr 2019 waren im letzten Jahr viele Vorfälle zu verzeichnen, die mit Parteien und Organisationen zusam­menhängen. Ein besonderes Augenmerk gilt hier auf neu entstandene Strukturen im Jahr 2020. Neben der „Division MOL“, die in der S5­Region aktiv ist, ist auch die zunehmende Aktivität des „III. Weg“ zum Ende des Jahres zu beachten. Die neonazistische Kleinstpar­tei zeichnet sich durch ihre Militanz und einen elitären Habitus aus. Mittlerweile hat sich ein „Stützpunkt“ in Bad Freienwalde ge­gründet.

Antisemitismus weiter präsent

Das Tatmotiv Antisemitismus trat im Jahr 2020 sehr häufig auf. Dies zeigt, wie tief ver­wurzelt Antisemitismus in der Gesellschaft ist. Sechs Fälle von antisemitischen Pöbelei­en, vier Fälle von Sachbeschädigungen und eine Propagandameldung zeugen von einem großen und auch gewalttätigen Potenzial. Die Sachbeschädigungen richten sich in der Regel gegen Gedenkorte, wie am 27. Januar in Seelow, wo im Nachgang zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz Blumenge­binde zerstört wurden oder am 31. Dezem­ber in Wriezen, wo zum wiederholten Male die Gedenktafel für die in der Reichspogrom­nacht abgebrannte Synagoge beschädigt wurde. Die Pöbeleien zeigen, dass sich Jüd*innen nicht sicher in Märkisch­Oderland bewegen können.

Die AfD weit rechts

Der Kreisverband der AfD Märkisch­Oder­land ist wie der gesamte Landesverband nicht nur Flügel­nah, sondern maßgeblicher Teil des Flügels. Die ungebrochene Solidari­tät gegenüber des wegen seiner Neonazi-Vergangenheit aus der Partei ausgeschlos­senen Andreas Kalbitz, eine Veranstaltung mit Björn Höcke in Hönow im September, so­wie eine kurz darauf folgende Veranstaltung mit Götz Kubitschek, dem zentralen Intellek­tuellen der Neuen Rechten machen dies deutlich. Auch die aktive Zusammenarbeit mit der Jungen Alternative Brandenburg, die schon länger als rechtsextremer Verdachts­fall von den Behörden geführt wird, macht deutlich, wie weit rechts die AfD in Märkisch­Oderland steht. Betroffene aus Regionen und Gemeinden, in denen die AfD besonders stark ist, berichten immer wieder von Anfein­dungen seitens der AfD und ihrer Anhän­ger*innen. Menschen, die sich eindeutig und konsequent von der AfD abgrenzen, sind Ziel von anonymen Pöbeleien im Internet, aber auch auf der Straße. Ihnen gehört unser Dank und unsere Unterstützung.

Die vollständige Chronik und ergänzte Informationen sind in Form einer Broschüre hier zu downloaden. Gedruckte Exemplare können gerne auch kostenfrei bestellt werden. Dazu einfach eine Mail an: ag-borg@horte-srb.de